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Alte Frauen sichtbar machen und vernetzen

Seit bald 10 Jahren besteht die GrossmütterRevolution. Grund genug, um an der Frühjahrstagung in Schwarzenberg die Bewegung zu öffnen und nach neuen Inputs zu suchen. Welche Anliegen haben alte Frauen für ihre Zukunft? Ideen und Anregungen gab es bis zum Schluss der Tagung viele. Vor allem möchten alte Frauen richtig gesehen werden.

Wie sich für Fragen des Alters und der Sorge für andere (care) einsetzen in einer Gesellschaft, deren oberstes Prinzip der Profit und die Gewinnmaximierung sind? Eine Arbeitsgruppe der GrossmütterRevolution (GR) beantwortete diese Frage mit dem Begriff Halbinseln. Diese sind mit dem „Festland“ verbunden und gleichzeitig weit genug entfernt, um eigenständig zu sein. Im Denkraum von Halbinseln können ohne Schere im Kopf Utopien entworfen werden. Nichts ist unmöglich. Die Diskussionen Durch/ein/Ander eröffnen neue Sichtweisen. Das zyklische Denken (Geburtlichkeit und Sterblichkeit) ermöglicht jederzeit Neuanfänge. «Der lustvolle Blick auf Utopien richtet sich gegen die weit verbreitete Ohnmacht unserer Zeit. Er stärkt und gibt Kraft zum Handeln», so die Erfahrung einer Teilnehmerin.

1000 FriedensFrauen aus aller Welt
Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Präsidentin von FriedensFrauen Weltweit und ehemalige Europaparlamentarierin, sprach von festgefahrenem Denken: Hier die Welt der Männer, Generäle und Kriegshelden. Dort jene der Frauen, die die Zerstörung der Kriege wieder aufbauen. Hier Milliarden von Ausgaben, dort quasi nichts. „Es sind Frauen, die zerstörte Orte, aufgelöste Gesellschaften und die traumatisierten Menschen flicken, die so genannten Trümmerfrauen.“

Anhand bewegender Beispiele aus der ganzen Welt zeigte die Referentin, wie Frauen kämpfen und Brücken bauen über Ethnien, Klassen, Hautfarben, Religionen hinweg. Diese Erkenntnis war der Grund, weshalb die weltweitete Initiative „1000 Frauen für den Friedensnobelpreis“ entstand. Ruth-Gaby Vermot: „Wenn ich meine Erfahrungen aufliste, ergibt sich folgendes Bild: Frauen sind netzwerkaffin, sie sind starrköpfig und bauen Brücken, sie überschreiten Grenzen, verfügen über einen hohen Anteil an sozialem Verantwortungsbewusstsein.“ Das sei keine genetische Eigenschaft der Frauen, sondern die ihnen von der Gesellschaft zugeschriebene Rolle.
Erhalten haben die Frauen den Friedensnobelpreis 2005 nicht. Es war wieder einmal ein Mann. (Welche Frau überrascht das!) Entstanden aber ist ein weltweites Netzwerk unter Frauen, ein 2000-seitiges Buch, ein Mut machender Film und eine Ausstellung mit den Bildern von 1000 FriedensFrauen aus aller Welt.

Ruth-Gaby Vermot spricht über den unermüdlichen Friedenseinsatz von Frauen auf der ganzen Welt.
Ruth-Gaby Vermot spricht über den unermüdlichen Friedenseinsatz von Frauen auf der ganzen Welt.

Wo sind unsere Halbinseln?
Welches sind unsere eigenen Halbinseln? Wofür brennen wir und wofür wollen sich die Frauen der GrossmütterRevolution engagieren? Mit dieser Frage beschäftigten sich gut 40 Frauen in Gruppen und Plenum. Die Ideen und Fragen der Frauen waren zahlreich; lustige, traurige, brisante Themen, Themen aus dem Alltag der Frauen, solche aus Politik und Gesellschaft, Themen von Gehalt und Tiefe: neue Rituale für Tod und Sterben, Freude und Lachen, Mütter mit schwierigen Kindern, sich im Alter sichtbar machen und vernetzen, Frauenstreik, Einsamkeit im Alter, Solidarität über Grenzen hinweg, altersgerechte Citys, Körperlichkeit, das Fremde als Chance, Achtsamkeit, Schere zwischen Arm und Reich, Klima-Gerechtigkeit, Pazifismus gegen Waffengewalt usw. usw.

Mit Kopf, Gesang und Tanz
Es war ein grosses Stück Arbeit, die vielen verschiedenen Interessen zu bündeln und die Ideen zu vernetzen. Voraussetzung dafür waren offene Diskussionen und die Bereitschaft zur Grosszügigkeit aller. Denn das Vorgehen an der Tagung zielte auf Arbeitsgruppen, in denen die Themen weiterverfolgt und vertieft werden könnten. Schliesslich kristallisierten sich eine Handvoll Gruppen heraus und der intensive Prozess begann von vorne.

Die Musikerin Karin Jana Beck, stimmte mit ihrer Handharmonika zwischenzeitlich Lieder aus aller Welt an. Die wundervollen und einfachen Melodien motivierten die Frauen zum Singen und Tanzen. Die kopflastigen Themen und engagierten Auseinandersetzungen traten für einen Moment in den Hintergrund. Spürbar wurde das Gemeinsame, die Kraft, wenn Frauen sich verbinden und aus ihrem Innern schöpfen. Es folgte die Arbeit in Kleingruppen.

Themen und «Halbinseln» verbinden und vernetzen
Themen und «Halbinseln» verbinden und vernetzen

Das Gesicht des Alters sichtbar machen
Wie können wir das wahre Gesicht von uns alten Frauen sichtbar machen? Wie können wir zeigen, wie wir wirklich sind: lebendig, tatenreich, kreativ und voller Energie? „Wir müssen mehr darüber reden, mit unseren Enkelkindern“, fordert eine Teilnehmerin. Eine andere meint, wir sollten mehr Leserbriefe schreiben, uns wehren, wenn alte Bilder kolportiert werden. „Wir sollten einen Blog errichten. Heute findet die Kommunikation im Internet statt“, folgert eine andere Frau. Sie bekommt Zustimmung und schnell dreht die Diskussion, wie denn ein Blog zu betreiben sei. Eine weitere Stimme fordert, wir sollten bei Pro Senectute vorstellig werden und versuchen, die GrossmütterRevolution dort zu propagieren. Die Runde formuliert viele Fragen und merkt, dass zu deren Beantwortung weitere Sitzungen nötig sind.

Teilnahme am Frauenstreik
Für den Frauenstreik vom 14. Juni 2019 gibt es haufenweise Themen – aber auch Fragen: Wie können wir unsere Arbeit sichtbar machen: die Kinderbetreuung bei unseren Söhnen und Töchtern, die Pflegearbeit bei unseren Eltern? Sie sind Millionen von Franken wert, werden von der Gesellschaft kaum wahrgenommen und schon gar nicht honoriert. „Genug mit frei und willig“, formuliert eine Teilnehmerin. „Ja, wir brauchen Transparente“, fordert eine Frau. „Vielleicht protestieren wir mit Liedern, die finden mehr Gehör“, meint eine andere. Wie können wir uns vernetzen, mit anderen Organisationen, die am Streik teilnehmen? Den Frauen fällt auf, dass es dazu Facebook braucht, und kaum eine beschäftigt sich damit. „Sollen wir nun dort mitmachen, obwohl uns das überhaupt nicht behagt?“ Die Diskussion ist angeregt, voller Fragen, viele Ideen sprudeln. In irgendeiner Form werden die Frauen im Juni präsent sein.

Handeln mit Blick auf zukünftige Generationen
„Es ist zum Verzweifeln, das Thema Überfluss hatten wir schon vor 50 Jahren“, klagt eine Frau in der Runde. Früher sei der Anstoss der Armutsgedanke gewesen, heute die Umweltzerstörung. „Wir wissen es schon lange, aber heute schämt sich mein Sohn, wenn ich die Papiersäcke wiederverwende.“ Eine andere stellt fest, dass es selbst auf dem Markt kaum noch schrumpfelige Äpfel gibt. „Früher waren die im Frühling doch normal – und sie waren viel aromatischer!“. Die Runde ärgert sich über die stereotype Formulierung der Grossverteiler und Banken: „Die Kundschaft verlangt das.“ Was tun? Bei sich selber anfangen, lautet die Devise: Weniger Abfall produzieren und nur kaufen, was nötig ist. Recyclieren. Unterwegssein mit dem Velo. Saisongerecht und vegetarisch kochen. „In den Schulen müsste es längst ein Fach Ökologie geben. Wenn die Kinder Bescheid wüssten, hätte das Auswirkungen auf die Eltern.“ Die Ohnmacht ist gross, zeigt aber auch, dass die Frauen am Thema bleiben wollen.

Warum streiken alte Frauen? Diskussion zur Teilnahme am Frauenstreik 2019
Warum streiken alte Frauen? Diskussion zur Teilnahme am Frauenstreik 2019

Es geht weiter
So intensiv und energiegeladen der Austausch war, so schnell waren am Ende der Tagung die Frauen verschwunden. Sie sind zurückgegangen in alle Regionen der Schweiz: zu ihren Partnerinnen und Partnern, Grosskindern, den pflegebedürftigen Eltern oder Nachbarn. Geblieben ist das starke Gefühl des Miteinanders, die Überzeugung auch, dass sie sich als alte Frauen in diese Gesellschaft einbringen wollen: authentisch, engagiert und so, wie sie sich selber sehen: lebendig, tatenreich, kreativ und voller Energie. Frau trifft sich wieder und arbeitet weiter. Wie sagt Ruth-Gabi Vermot? Frauen sind starrköpfig. Gut so!

Bernadette Kurmann

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